Leerstand regional füllen
„Ellas Lädchen“ in Neuengönna
Ein Beitrag von Maria Klärner
Durch viele kleine Dörfer und verschlungene Waldstraßen führt der Weg nach Neuengönna, einem kleinen Ort in der Nähe von Jena. Verträumte, charmante Fachwerkhäuser und Seitenhöfe prägen das Dorfbild. Ein Seitenhof fällt besonders auf. Sitzgelegenheiten am Fußweg laden zum Verweilen an Ellas Lädchen ein. Tims Dorfladen „Ellas Lädchen“ bietet seit April 2022 den Ortsansässigen aber auch Urlaubsgästen die Möglichkeit, regionale Lebensmittel direkt vor Ort zu kaufen.
Am frühen Freitagnachmittag herrscht noch Gewusel in dem kleinen Laden: Produkte werden sortiert und in die Regale eingeräumt. Auch Ella, Tims Hund, begrüßt die Kundschaft mit einem freundlichen Schwanzwedeln. Die Regale sind gefüllt mit Obst, Gemüse, Honig, Eiern, Nudeln, Gewürzen, handgebrauten Bieren und Weinen, Marmeladen, Aufstriche, aber auch Snacks, Bonbons und sogar Bücher findet man bei genauerem Hinsehen. Alle Produkte kommen aus der Region und haben maximal 30km bis zu Ellas Lädchen zurückgelegt.
© Maria Klärner
Ladengründung - Leerstand nutzen
Die Geschichte des Ladens beginnt bereits vor 8 Jahren, als Tim, der Inhaber, die Immobilie beim Gassigehen entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt wohnt er in Jena und sieht in dem damals grauen, tristen Gebäude viel Potenzial. Steht man heute im Innenhof, kann man sich kaum vorstellen, dass dieser einmal einen leblosen Eindruck vermittelt hat. Tomaten, Zucchini, Kürbisse und viele Kräuterbeete machen ihn zu einer Wohlfühloase. Doch wie kam Tim auf die Idee, in einem so kleinen Ort einen Laden zu eröffnen?
© Maria Klärner
Wandernde Kundschaft und Gemeinschaftsgefühl im Ort
Neuengönna liegt direkt an der Saale-Horizontale, einer beliebten Wanderstrecke. Damals klingeln Wandernde häufig bei Tim, um nach einer Toilette oder frischem Wasser zu fragen. Laufkundschaft ist also direkt vorhanden gewesen. So bilden sich auch die ersten Ideen eines Hofladens, in dem man den Wandernden Getränke anbieten kann. Zuerst wurde überlegt, den Laden in die Scheune zu bauen, doch hierfür fehlten finanzielle Mittel. Vor 5 Jahren kommt die Idee auf, eine Tür in das alte Schlachthaus zu bauen. Und so wird es später umgesetzt. Noch heute erinnern Metallelemente an der Decke an die ursprüngliche Funktion des Häuschens. Doch gefüllt ist es nun mit Leben. Mit regionalen und teilweise einzigartigen Produkten. Denn nach einiger Recherche findet Tim heraus, dass es zahlreiche Produkte des täglichen Bedarfs in Thüringen hergestellt werden. Er fängt an Kontakte zu knüpfen und vergrößert so immer weiter sein Netzwerk. Eine kleine Vorab-Umfrage im Dorf gibt ihm die Bestätigung, dass seine Idee gut ankommen kann. So bildet sich das Ladenkonzept ganz organisch. Von Markenprodukten wie Fillinchen und PrinzenRolle bis hin zu selbstgemachtem Zucchini-Aufstrich aus dem Dorf. Bei ihm findet man auch Produkte von Amateuren und Privatpersonen. Und das stärkt auch das Gemeinschaftsgefühl vor Ort.
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Unterstützung durch die IBA Thüringen
Tim hatte vor dem Geschäftsstart schon einige Ladengründungen miterlebt und kannte somit den Prozess und seine Herausforderungen. Bei einem Wettbewerb gewinnt er eine Beratung bei der IBA, die ihn bei der Beantragung von Fördergeldern unterstützen.
Die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen hat zum Ziel, Leerstände im Land umzubauen und neu zu nutzen. Dabei entwickeln sie ressourcenbewusste Projekte mit neuen Herangehensweisen an Zusammenarbeit. Experimentelle Ideen schrecken sie nicht ab, sondern sind gern gesehen, insbesondere wenn gemeinwohlorientierte Werte dahinterstehen. Sie bieten Vernetzung, Beratung, Unterstützung und Motivation für Projektträger*innen. Die Nutzung von Leerstand ist eine sehr nachhaltige Grundidee, da leere und alte Immobilien ökologisch saniert und neu genutzt werden können. So werden weniger Baustoffe benötigt, weniger Flächen versiegelt, und das Leben in ländlichen Regionen noch lebenswerter gemacht. Dank ihnen müssen sich die Projektträger*innen nicht allein auf den Weg in ihr Projekt begeben und haben Ansprechpartner*innen, die ihnen zur Seite stehen. Die Projekte, bei denen Leerstand bereits genutzt wird, und die Projekte, die in Zukunft umgesetzt werden, sind Inspiration und Modellprojekt für Menschen, die eigene Ideen umsetzen wollen, aber auch für ganze Gemeinden und andere Bundesländer, die mit solch einer Arbeitsweise auch die verbaute Energie und räumliche Ressourcen effizient nutzen können.
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Sommerfrische im Schwarzatal
Besonders zeigt sich diese Grundidee der Nutzung von Leerstand am Tag der Sommerfrische im Schwarzatal. Dieser fand in diesem Jahr am 21. August statt. An verschiedenen Orten im Schwarzatal gibt es an diesem Tag Ausstellungen, Mitmach-Angebote, Essen, Trinken und vieles mehr. Gerade das ehemalige Sanatorium in Bad Blankenburg erscheint an diesem Sonntag in neuem Glanz und ist mit Leben und Kunst gefüllt. Sonst wirkt es eher düster und sogar etwas gruselig, wie auch die Vereinsmitglieder der Schwarzeckfreunde e.V. erzählen. Doch am Tag der Sommerfrische ist das riesige Gelände des Gebäudekomplexes frei zugänglich und gefüllt mit Kunst und Ausstellungsstücken, die die Geschichte des Ortes erzählen. Besucher bekommen so einen Einblick in das Gebäude und können sowohl die beeindruckende Architektur als auch die kreativen Nutzungsmöglichkeiten bestaunen.
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Auch am Bahnhof Rottenbach wurde Leerstand genutzt. So findet man im Bahnhofsladen regionale und ökologische Produkte. Sogar die asphaltierten Parkflächen wurden genutzt und durch Kräuterbeete aufgelockert. Die IBA zeigt also ganz deutlich, wie sinnvoll man Leerstand nutzen kann.
Die größte Herausforderung für Leerstandnutzer wie Tim liegt laut ihm in der Effizienz. Der Ladenbetrieb ist für ihn nicht existenzsichernd und nur ein Nebengeschäft neben seinem Hauptberuf als Schriftsteller. Nur durch diesen Hauptberuf und den sonst leerstehenden Raum auf seinem Hof kann er den Laden überhaupt betreiben. Er hat keine Lieferant*innen, sondern holt alle Produkte möglichst an einem Tag in der Woche persönlich von den Produzierenden ab. Jedoch bilden sich nach und nach mehr symbiotische Effekte zwischen den Beteiligten und ihm. Man hilft sich gegenseitig, und man ist zudem Inspiration für andere Kreative.
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Weniger Industrie, mehr Qualität
Da sich auch Ellas Lädchen immer weiter entwickelt, wünscht sich Tim in Zukunft noch mehr individuelle Produkte. Weniger industriell hergestellte Lebensmittel sollen angeboten werden, dafür mehr einzigartige und besondere Produkte aus Manufakturen oder von Privatanbietern.
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Ellas Lädchen zeigt deutlich, wie man Leerstand sinnvoll nutzen kann und welche zahlreichen Vorteile nicht nur die Besitzer*innen der leeren Immobilien, sondern auch die lokale Gemeinschaft davon haben können. Das Wiederbeleben eines Ortes kann andere inspirieren, sich etwas Eigenes aufzubauen und Ideen umzusetzen. Beteiligte lernen, sich zusammenzutun und sich gegenseitig zu unterstützen. Dafür muss einer oder eine den Mut haben, anzufangen. Das funktioniert in ländlichen Gegenden manchmal sogar besser als in der Stadt, da Platzmangel hier ein geringeres Problem ist, und oft bereits eine Gemeinschaft sowie Kapazitäten für soziale Projekte vorhanden sind. Gerade dieses Konzept und Tims Herangehensweise stärken außerdem die Logistik regionaler Produkte. So wird momentan ein "Thüringer Regional Regal“ aufgebaut. Es steckt noch in den Kinderschuhen, soll jedoch ein Verteiler für Thüringer Produkte werden, quasi eine zentrale Stelle, an der man alle regionalen Produkte finden und sich für das eigene Unternehmen liefern lassen kann.
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Ideen wie diese brauchen wir dringend, um Nachhaltigkeit auf lange Sicht und fair für alle umsetzen zu können.
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