Die "Spinner" von Schloss Tonndorf
Ein Beitrag von Uta Kolano
Am Anfang – und das war 2005 - fand Herr X. das bunte Treiben der neuen Bewohner*innen auf Schloss Tonndorf suspekt. Keine Einheimischen. Öko-Spinner. Hippie-Kommune. Aber irgendwie fand er es auch gut, dass sie da waren und das alte Schloss samt Areal vor dem Verfall bewahrten. Hatte sich ja sonst keiner mehr drum gekümmert, seit das Altersheim da raus war.
Thomas Meier erinnert sich noch gut an die Anfänge der Lebensgemeinschaft Schloss Tonndorf. Er gehört von der Pike an zu den „Spinnern“, die einen Ort schaffen wollten, wo sie wettbewerbsfrei, freundschaftlich, sinnvoll, sozial und ökologisch nachhaltig wohnen und wirken könnten. Die Vorbehalte ihnen gegenüber waren nicht gering. Glücklicherweise waren sie Viele und auf ihrer Burg auf dem Berg mit Blick ins weite Tal so für sich, dass sie unverzagt an die Verwirklichung ihrer Ideen und Wünsche gehen konnten. Lea Hinze, auch von den ersten Stunden an mit dabei, sieht das als anhaltende Aufgabe: „Wir bekommen immer wieder ganz viel Zuspruch, aber wir haben natürlich auch mit Vorurteilen zu kämpfen. Kleines Beispiel: Wir lassen, wenn wir die Obstbäume beschneiden, oft die Asthaufen liegen, für die Igel, die Insekten und die Vögel. Für ganz viele Leute in der Region ist das schlicht unaufgeräumt. Also der ökologische Zweck, den wir damit verfolgen, der kommt gar nicht rüber. Da könnten wir vielleicht unsere Außenkommunikation verbessern.“
Schloss Tonndorf ist das Zuhause für mehr als 60 Menschen verschiedener Generationen.
Die ca. 30 Erwachsenen sind gleichberechtigte Genossenschafts-Mitglieder, die ihr Gemeinschafts-Eigentum selbst verwalten. Aber hier wird nicht nur gewohnt. Das Areal ist gleichzeitig Arbeitsstätte für die meisten. Es gibt insgesamt ca. 25 Freiberufliche und Angestellte, die hier tätig sind. Sie betreiben u.a.
*ökologische Landwirtschaft mit Kuhhaltung, Pflege und Bewirtschaftung der Streuobstwiesen
*nachhaltige Waldnutzung
*eine Berufs-Imkerei
*einen biovegetarischen Catering-Service
*ein Kultur-Cafe
*einen Waldkindergarten
*eine integrative Tagesbetreuung
*Kinderfreizeit-Camps
* Yogakurse
*Seminare für naturgemäßen Obstbaumschnitt, Umweltbildung und nachhaltige Regionalentwicklung u.a..
Sie veranstalten kleine Konzerte, Feste und Märkte mit jährlich ca. 6.000 Besucher*innen.
Darüber hinaus bleiben aber immer noch grundlegende Dinge zu tun. Längst nicht alle Gebäude des Areals sind durchsaniert, was auch heißt, dass die Wohnraumsituation angesichts wachsender Familien nicht immer als einfach zu bezeichnen ist. Auch daran wird gearbeitet.
Starke Nachhaltigkeit
Gemeinsam achtet man/frau hier stark auf Nachhaltigkeit, also das Zusammenbündeln von ökologischem, kulturellem, sozialem und ökonomischem Handeln. Die Finanzen laufen über die GLS-Bank, Teilen, Schenken und Beitragen als Prinzipien werden großgeschrieben (z.B. bei Verpflegung, Büchern, Kleidern, Wissen, Kinderbetreuung, Autos). Lea Hinze: „Das ist schon Leitstern unseres Handelns hier. Und natürlich sind auch das Schloss und das Gelände phantastische Räume und Naturräume, die erhaltens- und schützenswert sind.“
Im Bereich Ökologie wurde und wird ebenfalls viel geschafft:
*die Sammlung von Regenwasser
*die Nutzung wasserloser Trenn-Toiletten in vielen der Haushalte
*die Reinigung des Abwassers in eigenen Pflanzenkläranlagen
*die ökologische Bewirtschaftung der Felder, Weiden und Wälder
*den Anbau von Getreide, Gemüse und Obst für eine anteilige Selbstversorgung
*den gemeinsamen Einkauf von Bio-Lebensmitteln
*die Pflege der Streuobstwiesen, die Anpflanzung zahlreicher heimischer Obstsorten sowie vielfältige Artenschutz-Maßnahmen.
Zusammenleben
Aber es war und ist nicht immer leicht, gemeinschaftlich das (Zusammen-)Leben zu gestalten, erzählt Lea Hinze. Ein wichtiges Prinzip der Gemeinschaft ist der Konsens. Das heißt, Entscheidungen, die alle betreffen, werden gemeinsam besprochen und transparent entschieden, jede*r kann gehört werden. Das verlangt Empathie, Offenheit, Perspektivwechsel und vor allem auch: Sitzfleisch. Lea Hinze: „Wir leben eine Konsenskultur hier oben und das ist auch anstrengend. Aber wir sind vom Wert dieser Arbeit, die das miteinander bedeutet, sehr überzeugt. Denn nicht mitentscheiden zu dürfen, ist auch anstrengend.“ Die Tonndorfer sehen in Kommunikation und Aushandlungsprozessen ein Wesensprinzip von echten, sinnstiftenden Gemeinschaften. Und der Erfolg gibt ihnen recht. Die Gemeinschaft existiert inzwischen seit über 15 Jahren. Sie ist stabil.
Ort der Ruhe
Schloss Tonndorf ist spürbar ein Ort der Ruhe und des Friedens. Das bedeutet jedoch nicht Stillstand. Thomas Meier sieht sich beständig auf dem Weg, Dinge zu lernen, neu zu denken, zu verändern. 2017 beispielsweise gründete er gemeinsam mit Bewohner*innen der umliegenden Dörfer (Tiefengruben, Hohenfelden, Nauendorf, Tonndorf) den Verein “Talvolk”, welcher sich für ein gutes Zusammenleben und eine nachhaltige Entwicklung in den Dörfern einsetzt. Bereits erreicht sind hier u.a.:
*Dorfkino
*Mitfahrbänke und
*die bessere Nahversorgung mit Bio-Lebensmitteln.
Thomas Meier: „Neue Projekte sind die Gründung einer Talschule mit 10 Klassenstufen, die Anpflanzung von Obstbäumen sowie die Entwicklung eines Mehrgenerationen-Hofes als Antwort auf die teilweise Vereinsamung alter Menschen in den Dörfern einerseits und die Suche junger Menschen nach bezahlbarem Wohnraum andererseits.“
WIR! Projekt
Thomas Meier denkt aber auch noch weiter. Seit 2020 engagiert er sich im BMBF-Projekt “WIR! Klimaschutzregion Ilmtal - Innovation, Partizipation, Zukunftsfähiges Wirtschaften”. Hier geht es darum, entlang der Ilm (also im Ilm-Kreis, im Weimarer Landes sowie der Stadt Weimar) zukunftsfähige Entwicklungen voranzubringen:
*klimagerechten Waldumbau und regionale Holznutzung
*umweltschonende Landwirtschaft und Versorgungssicherheit
*eine nachhaltige, regionale Energiegewinnung. Also: menschenwürdige Wertschöpfung vor Ort, Heimatgefühl inklusive.
Ökodörfer verbinden modernes und traditionelles Wissen mit nachhaltigen und innovativen Ansätzen
Die Lebensgemeinschaft Schloss Tonndorf ist Mitglied des deutschen Ökodorf-Netzwerks und darüber verbunden mit ca. 13.000 Gemeinschaften weltweit. Thomas Meier dazu: „Ökodörfer verbinden modernes und traditionelles Wissen mit nachhaltigen und innovativen Ansätzen in Landwirtschaft, Energie- und Ressourcenversorgung, Wasser- und Abfallmanagement, Architektur und sozialen, partizipativen Prozessen. Sie sind ein entscheidender Beitrag, um für globale Probleme neue, lokale Lösungen zu entwickeln. Alle diese Orte widmen sich der Regeneration unseres Planeten Erde.“
Nicht mehr und nicht weniger.
Und Herr X.? Freut sich, dass die „Spinner“ so viel machen und das Tal beleben. Man hört ja von so vielen Orten, die absterben, weil die jungen Leute weggehen. In Tonndorf selbst soll jetzt sogar eine ganz besondere Schule entstehen, wohin wohl auch Erfurter Eltern gern ihre Kinder bringen würden. Die Erfurter! Na egal, Hauptsache es kommt Leben ins Dorf.
Gemeinschaft auf Schloss Tonndorf
BürgerInnen-Initiative Talvolk
GEN Deutschland - Netzwerk für Gemeinschaften e.V.