Gisela Hartmann im Interview
Ein Beitrag von Uta Kolano
"Ich bin immer vorne, wenn’s gefährlich wird,“ sagt Gisela Hartmann von sich. Und wahrlich. Ihr Esprit und ihr Elan lassen keinen Zweifel an solch einer Aussage aufkommen. Und es kann ein Ansporn sein: wenn man selbst mit 81 Jahren(!) noch so drauf sein wird...
Die einen bezeichnen Gisela Hartmann als „Nestorin der Umweltbewegung in Thüringen“, die anderen als „Unruhestifterin“. Unruhestifterin - das kann man mögen oder lästig finden, in jedem Fall hat Gisela Hartmann nie locker gelassen, wenn es um Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung ging. Deswegen gibt es für sie auch heute keinen Ruhestand – weil es diese Trennung in Arbeit, Leben und zivilgesellschaftliches Engagement bei ihr nicht gab und gibt. Obwohl: gerade tritt sie tatsächlich etwas kürzer. Sie ist per 30. Juni 2020 aus dem Thüringer Nachhaltigkeitsbeirat ausgeschieden und betätigt sich auch nicht mehr als Stadträtin in Nordhausen. „Sollen doch mal andere jetzt ran“, meint sie. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich nicht weiter einmischt oder dass sie sich nicht weiter engagiert – zum Beispiel zur Erhaltung des Parks Hohenrode in Nordhausen.
„Es fehlen die Leute, die machen. Es gibt viele Leute, die zu Tagungen fahren und reden und nichts machen. Ich will machen.“
Gründung des kirchlichen Umweltseminars in Nordhausen
Gisela Hartmanns Verwegenheit hat eine starke Basis: Gottvertrauen. Nicht von Ungefähr war es der freie Raum der Evangelischen Kirche, wo sie begann, sich für Umweltschutz zu engagieren – zu DDR-Zeiten. Sie sah den Raubbau im nordthüringischen Gipskarst, sie sah und roch die verseuchten Flüsse, sie litt unter der Abwesenheit demokratischer Rechte und Freiheiten im sich sozialistisch nennenden Teil Deutschlands. Gegen all das lehnte sie sich auf – auch wenn es gefährlich war. 1983 gründete sie mit Gleichgesinnten in Nordhausen das Kirchliche Umweltseminar, wo regelmäßig Umweltpolitik mit Kultur verbunden und sich verbündet wurde.
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Als die Umweltbewegung in Ostdeutschland 1987 mit dem konziliaren Prozess „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ Fahrt aufnahm, fühlte Gisela Hartmann den Wind in den Segeln und steuerte auf internationale Verbündungen zu. Zur Erinnerung: 1987 erschien der Brundlandt-Report „Our Common Future“, der den desatrösen Zustand der Erde schilderte und als Ursachen den menschlichen Raubbau benannte – weltweit. Man konnte den Report auch in der DDR lesen – wenn man ihn sich zu beschaffen wusste. Und die Kirche war im Beschaffen solcher Texte richtig gut (so gab es nicht nur in Berlin eine Umweltbibliothek mit von den DDR-Oberen als „gefährlich“ eingestuften Texten).
Im Report wurde das Prinzip Nachhaltigkeit als einzige Zukunftsperspektive beschrieben: „Im wesentlichen ist nachhaltige Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.“ Das war 1987!
International Council for Local Environmental Initiatives
Mit dem Fall der Mauer 1990 knüpfte Gisela Hartmann die Aktivitäten in Nordhausen in die weltweite Nachhaltigkeitsbewegung ein. Sie verband das Lokale direkt mit dem Globalen. Als Vertreterin der Stadt (vorher zwischen allen Stühlen und beschattet von der Stasi aber beschützt von der Kirche, war sie inzwischen zur Leiterin des Umweltamtes geworden) traf sie mit anderen kommunalen Umweltaktivist*innen zusammen. Auf ihrer erster Weltkonferenz 1990 in New York gründeten sie den ICLEI – International Council for Local Environmental Initiatives (heute: Local Governments for Sustainability). Und sie legten den Grundstein für die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992. Soviel zu dem Gerücht, Gisela Hartmann sein Rio gewesen. Das war sie nicht, aber sie hatte Anteil daran, dass Rio überhaupt stattfand. Übrigens: in Ostdeutschland gibt es nur 3 Mitglieder im ICLEI - Dresden, Berlin und der LK Nordhausen. Nordhausen war – dank Gisale Hartmann und ihrer Mitstreiter*innen - Vorreiter in Sachen nachhaltiger Entwicklung in Thüringen.
Nordhausen ist Fair Trade Town
Die Stadt Nordhausen ist Fair Trade Town – die erste übrigens in Ostdeutschland. Sie hat heute (Stand Juli 2020) ein Klimaschutzkonzept 2050, wo auf die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an Stromverbrauch und Wärmenutzung und auf alternative Mobilitäts-Konzepte gesetzt wird. Die Stadt beschäftigt einen Klimaschutzmanager, hat den Prozess zur Global Nachhaltigen Kommune erfolgreich durchlaufen, unterhält einen Stadtgrünfond. Die Gipskarst-Landschaft könnte zu Teilen Biosphärenreservat werden. Es gibt einen Welt-Laden und verschiedene auf Nachhaltigkeit setzende Akteure und Unternehmen, z.B. Intrasol (Elekromobilität). Die Hochschule Nordhausen bringt sich aktiv in Fragen der nachhaltigen Entwicklung ein. Und, und, und... Es ist viel gewachsen aus der Nordhäuser Wurzel.
Als gebürtige Nordhäuserin erlebte Gisela Hartmann die Zerstörung der Stadt im II. Weltkrieg (zwar geschützt auf dem Land bei den Großeltern so doch als direkten Familieneinschnitt) und den schweren Neuanfang nach 1945. Sie verliebte sich, gründete eine Familie, erlebte auch hier Höhen (sie hat längst die Goldene Hochzeit glücklich gefeiert) und tragische Einschnitte. Der Region Nordhausen blieb sie immer treu. Ihr Gottesglaube hat sie in allen Zeiten begleitet. In ihrem Garten steht ein hölzerner Mönch.
„Das ist mein Franz von Assisi. Er hat jedes Lebewesen geachtet und geschützt. Er lebte arm aber fröhlich. Er ist der spirituelle Vater der Nachhaltigkeitsidee in Europa.“
Gisela ist voller Lebensenergie. Vorstellbar, dass sie die 100 reißt und immer noch aktiv ist. Gerade hat sie wieder eine sechsstellige Fördersumme für die Sanierung der Villa im Park Hohenrode eingeworben. Sie kann Leute begeistern aber auch streng bei der Stange halten. Sie kennt sich aus – in der Nachhaltigkeitsbewegung aber auch im Menschlichen, Allzumenschlichen. Sie weiß, dass der Mensch irren und fehl gehen kann. Sie sieht das versöhnlich. Sie hat viel Verständnis. Eiferer hingegen sind ihr suspekt.
Gisela Hartmann - das sind 81 Jahre pralles Leben. Nur eines hat Gisela nicht richtig: Zeit. Also jetzt nicht ihre persönliche, sondern sie sieht die Zeit ungenutzt zerrinnen, in der dem Raubbau an Mensch und Erde endlich Einhalt geboten wird. Das ist gefährlich – für unser aller Zukunft.