In eigener Sache - 10 Jahre Nachhaltigkeitszentrum Thüringen
Tatatata!
Wir feiern unseren 10. Geburtstag als thüringenweites Projekt. In Wahrheit sind wir aber schon viel älter. Unsere Geschichte reicht bis in die ausgehende DDR-Zeit zurück.
So reihen wir uns ein in die bisher hier veröffentlichten Guten Geschichten, die von Dauerhaftigkeit und Konstanz erzählen. Wie die Gemeinschaft von Schloss Tonndorf seit mehr als 15 Jahren und Gisela Hartmann seit den Mitachtzigern des vergangenen Jahrhunderts am Start sind, beweisen auch wir echt langen Atem in unserem Schaffen.
Das zeigt, dass nachhaltiges Tun beständig ist und keiner Mode unterliegt. Zumindest jene Nachhaltigkeit, die wir meinen: starke Nachhaltigkeit. Es zeigt aber leider auch, dass noch Vieles nicht erreicht ist. Pessimistisch eingestellte Menschen würden sagen: noch gar nichts. Doch so schwarzmalerisch gehen wir nicht heran - könnten wir unsere Arbeit sonst so enthusiastisch machen, wie wir es tun?!
Wir sind 6 Kolleg*innen. Das Foto ist fast aktuell. Allerdings ist unsere Kollegin Monika inzwischen im wohlverdienten Un-Ruhestand und Isabelle ist in Elternzeit.
Warum wir als NHZ in Arnstadt sind
Eines steht fest. Von Anfang an spielten Umweltschutz und Ökologie die zentrale Rolle. Es begann damit, dass der Reporter Jürgen Ludwig 1987 vom Brundlandt-Report erfuhr. Der wurde in der DDR nicht veröffentlicht, Ludwig aber konnte ihn heimlich beschaffen. Die Fakten, die er da las, stimmten mit seinen Wahrnehmungen im Ostblock überein, nämlich dass die Umweltverschmutzung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auf einen kritischen Punkt, einen Kipp-Punkt, zurasten. Bei Überschreitung dieses Punktes, so stand da geschrieben, drohe eine Umweltkatastrophe, die gesundes und gutes Leben auf der Erde in Zukunft unmöglich mache. Das war für Jürgen Ludwig der Anlass, in seiner Heimatstadt Arnstadt mit Gleichgesinnten die Interessengemeinschaft (IG) Stadtökologie zu gründen. Sie wollten den Planeten und das Leben auf ihm in seiner Schönheit und Vielfalt bewahren - für sich, für die Kinder und Kindeskinder. Eine hochidealistische Angelegenheit.
Fahrradkorso durch die Stadt für den Ausbau des Fahrradwegenetzes (c) J. Ludwig
30 Jahre IG Stadtökologie Arnstadt e.V.
So richtig zur Sache ging es aber erst nach der politischen Wende von 1989/ 1990. 1991 würde die IG Stadtökologie ins Vereinsregister eingetragen. Sie erreichte zum Beispiel, dass der wunderschöne Schlosspark von Arnstadt nicht einer Durchgangsstraße zum Opfer fiel. Außerdem wurde gegen die Schließung von SERO protestiert – leider erfolglos. Für alle Jüngeren: es gab in der DDR ein SEkundärROhstoff-Erfassungssystem, eine Art Pfandsystem mit grünem Punkt und Recycling. Gleichzeitig wurde durch verschiedene Aktionen immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie fragil unsere natürlichen Bedingungen sind und wie stark der Raubbau an den natürlichen Ressourcen betrieben wurde. Auch der damit einhergehende Klimawandel wurde immer wieder thematisiert. Leider zumeist von der Mehrheit ungehört.
Sonderannahmestellen für Altpapier und Weinflaschen wurden organisiert. Dazu gehörte, wie auf dem Foto, der Tausch von Altpapier gegen Toilettenpapier, 1990 (c) J. Ludwig
Von Arnstadt nach Thüringen
Was ist nun in den vergangenen rund 30 Jahren passiert? Wie wurde aus der IG Stadtökologie Arnstadt das Nachhaltigkeitszentrum Thüringen? Was haben wir erreicht?
1992 verabschiedeten 178 Staaten auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio die sogenannte „Agenda 21“. Der Zeithorizont war das 21. Jahrhundert und der Weg hieß nachhaltige Entwicklung. Auch die Bundesrepublik Deutschland unterschrieb diesen Zukunftsvertrag. „Global denken, lokal handeln“ war damit als Motto geboren.
In den 1990er Jahren entstanden - im sogenannten Agenda 21-Prozess - Arbeitsstellen über ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen), u.a. für Jürgen Ludwig und Andre Schäfer. So konnte beispielsweise die Umweltbibliothek Arnstadt aufgebaut werden. Im Ilm-Kreis trafen die Ideen zudem auf offene Ohren, so dass sich der Landkreis schon frühzeitig zur Agenda 21 bekannte und sich eigene nachhaltige Entwicklungsziele stellte.
1998/1999 gab es erstmalig eine Landesförderung für die „Kernnetzeinrichtung Umweltbildung Mittelthüringen“ sowie als „Agenda 21 Regionalstelle Mittelthüringen“. 2008 wurden auf Initiative des damaligen Umweltministeriums vier Nachhaltigkeitszentren ins Leben gerufen, für jede Planungsregion eines. Die IG Stadtökologie Arnstadt übernahm das Nachhaltigkeitszentrum Mittelthüringen mit 3 Stellen. Nach wie vor galt es, die Menschen über die Notwendigkeit einer zukunftsweisenden Entwicklung vor Ort aufzuklären. Da in der Agenda 21 festgestellt wurde, dass die Kommunen die eigentlichen Handlungsorte nachhaltiger Entwicklung sind, lag auch der Schwerpunkt des NHZ Mitte auf der kommunalen Aufklärungsarbeit. Ein Highlight aber blieb der jährlich mitveranstaltete Umwelt- und Erlebnismarkt in Arnstadt.
21. Umwelt- und Erlebnismarkt mit dem ehemaligen NHZ-Mitarbeiter Peter Kirch als Linde, 2017
Geburtsstunde unseres NHZ in seiner heutigen Form
2011 schuf das damalige Umweltministerium ein zentrales Nachhaltigkeitszentrum. Den Zuschlag, das Projekt zu betreiben, bekam die IG Stadtökologie Arnstadt. Dies ist die Geburtsstunde unseres NHZ in seiner heutigen Form. Die Arbeitsaufgaben erstreckten sich von nun an auf das gesamte Bundesland. Viel Arbeit für sieben Leute (mit 5,75 Stellen)! Drumherum aber traten andere Organisationen auf den Plan, die sich ebenso auf Landesebene mit Umwelt-, Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsfragen befassten, wie z.B. die ThEGA (*2010), das NAT (*2011) oder der Thüringer Nachhaltigkeitsbeirat (*2009).
Aus der klassischen Umweltbildung formte sich die umfassendere Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und wurde neben der Kommunalberatung ein weiteres Hauptarbeitsfeld des NHZ.
Das sprengte den Rahmen der IG Stadtökologie Arnstadt. So wurde aus ihr heraus ein thüringenweit agierender Verein neu aufgestellt, der heute unser Trägerverein ist: Zukunftsfähiges Thüringen e.V. Die IG besteht in ihm als Ortsgruppe weiterhin.
Ein Teil unseres Vereins Zukunftsfähiges Thüringen e.V. bzw. der Projekte, 2018
Viel haben wir als NHZ Thüringen in den 10 Jahren geschafft. Als da wären - ausschnittsweise:
* das Thüringer Nachhaltigkeitsforum TNF, das seit 2012 vom NHZ organsiert wird, wird als thüringenweite Austauschmöglichkeit sehr gut angenommen. 2017 wurde auf dem TNF die Thüringer NH-Strategie diskutiert, die seit 2018 gültig ist
* 2013 wurde der Bürgermeisterdialog zur nachhaltigen Kommunalentwicklung ins Leben gerufen, in dem z.Z. rund 25 Bürgermeister*innen mitwirken
* mit unseren Fachforen werden gute Beispiele in die Breite getragen
* immer mehr werden Weiterbildungen, Schulungen und Seminare nachgefragt
Worauf wir am meisten stolz sind, ist, dass wir nun schon das 4. Jahr die Zertifizierung thüringischer Bildungsanbieter*innen organisieren. Dieser Qualitätsentwicklungsprozess mündet in das Thüringer Qualitätssiegel BNE (TQS BNE) und wurde gemeinsam mit Partner*innen von TMUEN und TMBJS modelliert. Bisher haben 16 Bildungsträger das Siegel erlangt, 7 weitere befinden sich gerade im Zertifizierungsprozess.
Auch der Bürgermeisterdialog (BMD) hat sich als ein wichtiges Gremium etabliert, und zwar für den Austausch der kommunalen Spitzen. Es stärkt die Motivation zu nachhaltiger Entwicklung in der eigenen Gemeinde oder Stadt, wenn man von anderen Kommunen lernen kann, wenn man Kooperationspartner finden oder verwaltungstechnische und politische Rahmenbedingungen diskutieren kann. So hatte der BMD in einem Positionspapier zur Regierungsbildung 2019 gefordert, Nachhaltigkeit in die Thüringer Verfassung einzuschreiben. Das Thema wird seit vergangenem Jahr im Verfassungsausschuss ernsthaft diskutiert.
Und ganz praktisch haben wir viele Bäume gepflanzt. Wir haben an verschiedenen Aktionstagen Müll in öffentlichen Anlagen gesammelt. Wir leisten Aufklärungsarbeit in Sachen Fairtrade (und trinken natürlich fairen Kaffee im Büro). Wir führen unsere Veranstaltungen klimaneutral durch. Wir haben unsere Website als Aushängeschild für nachhaltige Aktivitäten in Thüringen modernisiert und halten sie aktuell. Jede/r von uns ist Mitglied in anderen nachhaltigkeitsbewegten Gremien und Projekten. Und und und...
Ohne das NHZ wäre alles gut – oder?
Dass wir Idealisten langen Atem beweisen, ist auch daran abzulesen, dass es heute, im Jahr 2021 das Nachhaltigkeitszentrum Thüringen immer noch gibt. Und – sollten nicht absolut eruptive politische Dinge passieren – zumindest bis einschließlich 2025 geben wird. (Herzlicher Dank gilt an dieser Stelle noch einmal dem Thüringer Umweltministerium für die weitere Förderung!)
Apropos 2025: Unser größtes Ziel ist naturgemäß die Selbstauflösung, also dass es ein Nachhaltigkeitszentrum nicht mehr braucht, weil alle Menschen drum herum auf einem guten Weg sind, eine stabile, vielfältige, lebenswerte und würdige Zukunft von Mensch und Natur zu gestalten. Ganz sicher werden wir dieses Ziel 2025 nicht erreicht haben. Vielleicht aber 2030 – denn der Maßstab unserer Arbeit, die „Agenda 2030“ (wie sie seit dem UN-Weltgipfel 2015 heißt), hat diesen Zeithorizont. Naja, das ist wohl doch zu optimistisch. Oder?
Wer fleißig arbeitet, soll auch feiern. Hier tun wir das per Teamausflug nach Holzhausen, nach erfolgreich durchgeführtem Nachhaltigkeitsforum